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Peter Handke feiert

27.03. 2006 Der Dichter und der Schlächter

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"Stellen wir uns vor, der Krieg im ehemaligen Jugoslawien hätte nicht stattgefunden. Oder fragen wir uns, was heute anders wäre, wenn Peter Handke nicht in dem kleinen Ort Griffen aufgewachsen wäre, in jenem südlichen Teil Kärntens, der früher enge nachbarschaftliche Beziehungen zu Slowenien pflegte. Sein Bericht "Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien" (1996) wäre nie erschienen. Handke hätte seinen Privatfeldzug gegen die Nato nie geführt, seine Invektiven gegen Politiker und Journalisten, all die abenteuerlichen, infamen, irrwitzigen, rührenden, naiven und schamlosen Äußerungen, mit denen Handke in den vergangenen Jahren immer wieder für Schlagzeilen sorgte, wären nicht gefallen. Auch den Prozeßbeobachter beim Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, der aus dem Täter Milosevic ein Opfer westlicher Willkür machen will, würde es nicht geben. Niemand würde erörtern, ob Handkes politische Verblendungen sich aus dem Werk erklären lassen, geradezu als Teil seiner Poetik zu verstehen sind, oder ob es sich um im Grunde liebenswerte Halsstarrigkeiten eines Dichters handelt, um zornverblendete, einfältige Wortmeldungen aus der Handkeschen Anderswelt. Gesetzt den Fall, all dies hätte sich nie zugetragen, was würden wir heute, da Peter Handke sechzig Jahre alt wird, über diesen Schriftsteller denken?

Vieles spricht dafür, daß Handke als Autor gälte, der sich zwar mit Romanen wie "Mein Jahr in der Niemandsbucht (1994) und zuletzt "Der Bildverlust oder Durch die Sierra de Gredos" (2002) beharrlich ins privatmystagogische Abseits geschrieben hat, aber als Urvater der mediengewandten Popliteraten gefeiert werden dürfte. Denn der sich gern mönchisch-weltabgewandt gebende Schriftsteller ist der Prototyp jener Autoren, die keine Mühe scheuen, sich im Rampenlicht der Medienöffentlichkeit zu verweigern. Auch wenn der Schriftsteller seit vielen Jahren das Bild des gegenwartsfeindlichen und rückwärtsgewandten Wanderpredigers kultiviert hat, sollte nicht vergessen werden, daß Handke oft auf der Höhe seiner Zeit war. Nicht selten war er ihr sogar voraus.

Kein anderer Schriftsteller konnte in den sechziger Jahren einen ähnlichen Wirbel um seine Person entfachen. Ihre Wirkung erzielten schon Handkes früheste Texte, vor allem die Theaterstücke "Publikumsbeschimpfung" (1966) oder "Kaspar", immer auch aus der Geste, mit der sie präsentiert wurden. Es war die Geste der Provokation. Ihr ist Handke treu geblieben. Auf alten Fernsehbildern ist der junge Dramatiker zu sehen, wie er grinsend die Reaktionen des Frankfurter Premierenpublikums auf die "Publikumsbeschimpfung" entgegennimmt, die Begeisterungsschreie ebenso wie die Buhrufe. Der Vorwurf der "Beschreibungsimpotenz", den er 1967 in Princeton bei der Tagung der Gruppe 47 an die deutsche Gegenwartsliteratur richtete, die allen Tendenzen gegenläufige Selbstdeklaration als "Bewohner des Elfenbeinturms", schon der erste Auftritt bei einer öffentlichen Lesung, als Handke - nicht Vortragender, sondern Zuhörer - sich aus dem Grazer Publikum heraus als der schmerzlich vermißte "neue Erzähler Österreichs" vorstellte: Ankündigungen, Provokationen, Selbsterhebungen.

Das Bild, das die Öffentlichkeit von ihm haben sollte, hat Handke immer selbst definiert und auch dafür gesorgt, daß diese Definition nicht unbeachtet blieb. Von Handke lernen heißt provozieren lernen. Auch in der Schule der Selbstinszenierung ist Handke ein guter Lehrer. Die Stirn, in die vor laufender Kamera eine Rasierklinge fuhr, gehörte Rainald Goetz, aber der hochfahrende Gestus der Selbststilisierung stammte vom Generationsvorgänger Handke, der den Elfenbeinturm bezog und mit dem Umzugswagen gleich auch die Fernsehteams bestellte. Goetz und Handke teilen den Gestus der Entschiedenheit. In ihm findet sich alles zusammen: Pathos, Aggression, der Einsatz der eigenen Person, die kalkulierte Raserei. Auch eine Prise Selbsthaß. Er speist sich aus der Einsicht, daß sich Medien und Öffentlichkeit zwar manipulieren lassen, aber nur um den Preis der Befolgung ihrer Gesetze. Das ist die Lehre der Popmusik, die Handke bei den von ihm vergötterten Beatles erkannte. Macht hieße, die Gesetze der öffentlichen Kultur zu ändern oder gar aufzuheben, während das Spiel mit diesen Gesetzen, und sei es noch so virtuos, demjenigen als Ausweis der Ohnmacht gelten muß, der den Kunstbetrieb ablehnt. Wer hier mitspielt, spielt und wird gespielt. Kein Fadenzieher, der nicht selbst am Marionettenfaden hinge. Deshalb ist der Titel, den Peter Hamm seinem Filmporträt zum Sechzigsten Handkes gegeben hat, gut gewählt: "Der melancholische Spieler" wird heute abend ausgestrahlt und zeigt einen offenen, sympathischen und überwiegend milden Handke, der über sein Werk und die eigene Biographie spricht.

Handke gilt als überaus heikler Gesprächspartner. Aber gibt es einen anderen zeitgenössischen Autor, der ähnlich energisch auf seiner Zurückgezogenheit besteht und so großzügig auf sie verzichtet? Die Selbstauskünfte des Peter Handke sind Legion, die Interviews, die er gegeben hat und die regelmäßig mit dem Hinweis versehen werden, es handle sich um ein exzeptionelles Ereignis, würden Bände füllen. Manches Lesenswerte ist darunter, vieles ist ausgesprochen unterhaltsam. Aus ihnen wissen wir, was Handke über Kafka, Böll, Nietzsche oder Joyce denkt, ebenso, wie wir von manchem Vorzug seiner jeweiligen Lebensgefährtin erfahren.

Widersprüche, vor allem wenn es um das eigene Werk geht, sind obligatorisch, Witz und Ironie nicht ausgeschlossen. So verglich er in einer heiteren Stunde des Jahres 1989 seinen Arbeitsprozeß mit dem Franz Kafkas: "Schreibe ich etwas hin, schon ist es vollkommen." Ganz ernst war das nicht gemeint, aber man weiß, daß Handkes Lektor im Suhrkamp Verlag keinen leichten Stand hat, sieht er sich doch einem Autor gegenüber, für den der Schreibprozeß in einem solchen Grade als Teil des Werkes gilt, daß Korrekturen und nachträgliche Eingriffe im Ruch der versuchten Fälschung stehen. Auch hier geht es um die für das Werk zentralen Begriffe Authentizität und Wahrhaftigkeit der Empfindung, die alles beglaubigen sollen, und sei dies die Unschuld der serbischen Armee oder ein falscher Dativ. "Der Bildverlust" markiert den vorläufigen Endpunkt in Handkes Entwicklung, die von der Sprachskepsis zur Wortverehrung führte, eine Entwicklung, die, von Erlösungssehnsucht vorangetrieben, auch Auslöschungsphantasien umfaßt. Dabei liest sich Handkes letzter Roman über weite Strecken wie die Programmschrift einer Poetik, die den Kontrollverlust zur Inspiration nobilitieren will. Auch Teile der Kritik partizipieren gern an dieser Methode.

Das ist kein Wunder. Denn Handke hat mit seinem Schreiben eine Kritikerschule herangezogen, die sich als Hort orthodoxer Exegese versteht. Gemäß der Lehre des Meisters ist auch das Werk des rechten Rezensenten durch die rechte Anschauung, Empfindung und Anverwandlung legitimiert. Gerechtigkeit ist laut Handke ohnehin nicht in den Verhältnissen angelegt, sondern in der Wahrnehmung. Den Dingen gerecht werden, heißt ihnen Gerechtigkeit verleihen. In diesem Sinne versteht sich Handke als Gesetzgeber. Der Zorn, den er eigenem Bekenntnis zufolge in sich spürt, hat im Jugoslawien-Konflikt das ihm gemäße Ventil gefunden. Es wird nicht das letzte sein. Handkes Eingeständnis, er habe eine "Grundwut auf alles, was Deutschland als Staat ist", deutete sich bereits vor acht Jahren an, als der Roman "Mein Jahr in der Niemandsbucht" erschien. Was dort an Phantasien über ein vom Bürgerkrieg verheertes Deutschland zu lesen war, läßt noch manches von Peter Handke erwarten."

gefunden in der Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.12.2002, Nr. 284 / Seite 39

 

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