Hans Zengeler: "AbLeben"

Markus Koch: "Und wo sind die Yachten der Kunden?

Steve Appleton: The Rolling-Stones RIP THIS JOINT

Nobelpreis für Literatur geht an Imre Kertész

Kathy Reichs: Durch Mark und Bein

Handke ist 60

Noam Chomsky, Mitbegründer der Aktion "Nicht in unserem Namen"

Roberto Simanowski: Interfiction oder von der Schwierigkeit, Netzgeschehen in den Print zu verlegen

Oriana Fallaci: Die Wut und der Stolz

Stephen L. Carter: Schachmatt

Marion Maron: Endmoränen

Mario Vargas Llosa über Marcel Reich-Ranicki

Marcel Reich-Ranickis Literaturkanon

Jan McEwen: Abbitte

Lord Chandos Zeitgemässe Antworten auf den Brief von Hugo von Hoffmannsthal

Oriana Fallaci: Zum Antisemitismus - Interview

V. S. Naipaul: "Der Islam will die Welt beherrschen"

Monika Maron: Endmoränen

Roman, S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2002

"Herbstzeitlosen" titelt die Süddeutsche die den neusten Roman von Monika Maron.

Kein Wunder! Eine der "Endmoränen", die alternde Hauptfigur Johanna, sammelt Material zur Biografie von Wilhelmine Enke, einer Mätresse Willhelms II. Das könnte man natürlich achselzuckend abtun; viele sammeln Material für Biografien, die noch zu verfassen sind. Aber darum geht es Johanna nicht. Johanna sucht nach einer Chance auf ein neues Leben, auf ein Leben, das ihr nicht zugedacht ist oder war und zwar jetzt, da sie mit ihrer eigenen Biografie, ihrem eigenen Leben sozusagen abgeschlossen hat. Es gibt viel her, das Leben der Gespielin Willhelms II. - Fleisches Lust, Philosophie, Musik, Kunst, Architektur. Ob dies eine Art Gegenentwurf zu Johannas eigener etwas trockener Biografie ist? Ist sie wirklich fertig mit ihrem Leben? Ist da keine Lebenslust mehr vorhanden? Nur noch Trauer und wendebedingte Wehmut? Wird Johanna bist zum Schluss und darüber hinaus eine "Endmoräne" sein, während sich ihr Mann über Kleist's Werke beugt?

Es passiert nicht viel in dem Roman: man schwatzt ein wenig, man besucht sich, manchmal kommt ein Nachbar vorbei oder die Kinder. Wehmütig hängt man Erinnerungen an frühere Zeiten nach, jammert über die Gegenwart und sorgt sich unbestimmt um die Zukunft. Etwas Nennenswertes passiert eigentlich nicht. Und man würde das Buch nicht zu Ende lesen, wenn da nicht Johannas Stimme wäre, die schonungslos mit sich und der Welt umgeht, wenn sie sich der Gegenwart oder einer anderen "Endmoräne" annimmt, ihrer Nachbarin Friedel nämlich. "Bis zum Tod ihres Mannes hatte Friedel Wolgasts Körper Jahr für Jahr eine Schicht zugelegt, wie Jahresringe um einen Baum, und sich mit der Zeit zu einem in dieser Gegend üblichen, derben, konturlosen Frauenkörper ausgewachsen, mit schweren Brüsten und der gleich darunter ansetzenden Wölbung des Bauches, von ähnlicher Masse an der Hinterseite im Gleichgewicht gehalten."

Nein, Johanna will  nicht so enden wie die Friedel. Exakt an diesem Punkt geschieht doch noch etwas Unerwartetes: Igor, ein Kunsthändler, der bei ihrer malenden Nachbarin ein und ausgeht, steht plötzlich vor Johannas Tür. Grund genug für Johanna,l noch einmal lebendig zu werden und den zerknauschten Lebenslauf zu glätten...

"Endmoränen" sind, so steht's im Lexikon, "vor dem Rand eines vorrückenden Gletschers zu einem Wall zusammengeschobene Gesteine, Ablagerungen, Holz u.a.m.". Was Monika Maron damit wohl meint? Wer ist in ihrem neuen Roman der Gletscher, wer der Wall und was exakt ist das Material? Ihre letzten Romane handelten von einer Zeit, in der einen kaum noch etwas am Leben hält. Marons wirkliche Welt, so könnte man meinen, sei 1989 untergegangen, und was darauf noch folgte, dauere, gemessen an seiner Bedeutungslosigkeit, schon viel zu lange.

Dort, wo Marons "Endmoränen" spielen, irgendwo in der Nähe von Berlin, leben Menschen, die sich fühlen, als hätte ein Gletscher sie zu einem Wall zusammengeschoben. Sie fühlen sich von der Zeit überrollt, und trotzdem geht ihnen das Altern nicht schnell genug. "Vor drei Jahren", beginnt Johanna ihren Bericht, "habe ich zum ersten Mal bemerkt, daß ich erleichtert war, als der Herbst kam." Im Herbst fühlt man sich mehr im Einklang mit dem rundherum herrschenden Blätterfall. 

Ein Buch, das zu lesen sich lohnt, obwohl es traurig zu stimmen vermag. Monika Maron hat sie ihre Botschaften in der Biografie der Johanna so versteckt, dass jeder sie auf Anhieb zu finden vermag.

Regula Erni

 

Home

Sprache des Lebens

Paolo Coelho an Bush

Netzliteratur

LitArt

Peel it, just peel it

Netzkunst

Baal lebt - Netzliteratur

Kolumnen & Kommentare

Rezensionen